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Die USA bekommen ihren ersten schwarzen Präsidenten, Angela Merkel wird wiedergewählt, in Thüringen übernimmt Rot-Rot-Grün die Regierung und Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein locken neue Aufgaben in die Landes-, wenn nicht sogar Bundespolitik; er werde jedenfalls nicht erneut als OB kandidieren. Roman Lehmann, der sich lieber geheimnisvoll Roman L. nennt, hat in die Zukunft geschaut. Der 46-Jährige tut dies von Berufs wegen, für einen Stundensatz von 130 Euro und hält sich dazu derzeit in einem Erfurter Hotel auf.
Seine „Europatournee“ habe ihn in die Stadt geführt. Er komme zu den Menschen, die es sich nicht leisten können, an seinen Wohnort in die Schweiz zu reisen. „Lebenshilfe“ nennt er in erster Linie das, was er tut als Handleser, Seher, Motivationstrainer, Wahrsager, Astrologe und Parapsychologe… Und dies mit Vorliebe für Prominenz, davon zeugen jedenfalls Dutzende Fotos, die Roman L. mit VIPs wie Uwe Seeler, Roberto Blanco, Boris Becker und Franz Beckenbauer zeigen. Als Gewerbe angemeldet sind seine Dienste, dessen Aufsicht laut Roman L. nur Todesvorhersagen untersage.

Sein Vater Inder, seine Mutter Deutsche, wird Roman L. im westfälischen Herford geboren, wächst in München auf und lebt nun in Bremen: Einer Stadt mit guter Energie, die er auch in Erfurt spüre, sagt er. Mehrfach sei er hier gewesen – privat. Erstmals dienstlich nun, in diesem Leben.

„Starke Veränderungen im politischen Bereich“ sagt Roman L. voraus. Kaum verwunderlich, stehen doch u.a. Kommunal- und Landtagswahlen an. „Sehr starke Veränderungen im wirtschaftlichen Bereich“ sieht der selbsternannte Seher ebenfalls: Arbeitslosenzahlen werden sinken, was am Bau eines Einkaufszentrums oder Zuzug einer Firma liegen werde – so sage es ihm die Sternenkonstellation. Ein Blick in die Tagespresse und auf dortige Berichte zu Großansiedlungen am Erfurter Kreuz oder auch in Stotternheim wären sicher näherliegender gewesen…

Eine gehörige Portion Lebenserfahrung darf vorausgesetzt werden bei Roman Lehmann, verheiratet, sechs Kinder. Schließlich will er schon 800 Jahre gelebt haben, das aktuelle sei sein achtes Leben. Ureinwohner der Kanarischen Inseln sei er gewesen und habe auch in Ägypten gelebt: „Da war viel dabei“, sagt Roman L. und schweigt zu Details. Er spricht lieber davon, das Tschernobyl-Unglück vorhergesagt zu haben. Auf Nachfrage schrumpft die Vision auf „eine nie dagewesene Katastrophe in der Sowjetunion“, ohne Ortsangabe. Auch den Anschlag aufs World Trade Center habe er Monate zuvor vorhergesagt: Stürzende Türme im Osten der USA habe sein Medium gesehen, das er zufällig zum passenden Zeitpunkt in die Zukunft hypnotisierte.

Um Informationen über Erfurt zu erhalten, reicht ihm dagegen das Geburtsdatum des Oberbürgermeisters: 5. Mai 1973. „Sehr dominant“ schätzt er Bausewein ein, „sehr zielbewusst“. Die Parteizugehörigkeit allerdings muss er erfragen – und sieht darin einen Beleg dafür, dass er sich nicht vorbereitet habe auf eine Bausewein-Charakteranalyse. Einen „starken Karrierefluss“ sagt er Erfurts OB voraus, es gehe „kontinuierlich nach oben“, das habe jetzt schon begonnen. Eine „Marskonstellation in Opposition zur Sonne“ macht der braungebrannte Seher für die Energie und Initiative Bauseweins verantwortlich. Im privaten Bereich dagegen gehe es bei Bauseweins sehr turbulent zu, will Roman L. wissen. Ebenso, dass die Finanzierung für das Nordbad dieses Jahr noch ungeklärt bleibt, Rot-Weiß Erfurt den Aufstieg schafft und Erfurt die Goldmedaille im Wettbewerb Entente Florale versagt bleibt – „Ich muss ja auch etwas Negatives sagen“, scherzt Roman L. mit einem charmanten Lächeln.

Über den Platz, den sich die Rot-Weißen erspielen werden, oder die Lottozahlen vom kommenden Wochenende schweigt der Herforder, der von Tarotkarten und Glaskugeln nichts hält. „Das wäre unseriös“, sagt er. Auf seinen Lieblingsverein Werder Bremen wette er nur, wenn ein Sieg in Aussicht stünde. Am kommenden Wochenende täte er dies bestimmt nicht – und würde sich doch freuen, wenn er sich irren würde.

Gleichwohl: Er hält Katastrophen für Erfurt vorerst für ausgeschlossen. Mit der tragischen Vergangenheit – „Stichwort: Gutenberg-Gymnasium“ – habe die Stadt ihr Kontingent in diesen Dingen vorerst erschöpft.

Dem Autor dieses Beitrags übrigens sagt Roman L. (ganz kostenlos) die Einnahme einer großen Summe Geldes voraus. Was nicht sehr wahrscheinlich scheint, stehen ihm doch zum Jahreswechsel einige Monate Elternzeit bevor – unbezahlt…

Frank Karmeyer

Journalist

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