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Den Kopf voller Erinnerungen an bessere Zeiten des Erfurter Hofes und mit Wut im Bauch auf die Landesregierung, die dem Traditionshotel die Fördermittel versagt hat, kamen gestern rund 300 Menschen zur Demonstration auf dem Bahnhofsvorplatz. Sie müssten Druck machen auf die Landesregierung, mit ihren Unterschriften für das allen gemeinsame Ziel einzutreten, nicht nachlassen damit, ihren Willen zu bekunden – dazu forderte Oberbürgermeister Manfred Ruge die Demo-Teilnehmer auf: „Wir stehen für den Erfurter Hof und wir wollen ihn!“
Ruge nimmt die Landesregierung in die Pflicht: Bis zum Jahresende, so habe Ministerpräsident Dieter Althaus ihm am Telefon zugesagt, solle ein Konzept vorliegen.
Ruge selbst hatte im Erfurter Hof seine erste Flasche Wein getrunken, beim Tanz-Abschlussball seine Frau Barbara kennen gelernt und gemeinsam mit ihr „die besten Stunden unseres Lebens erlebt“. Auf der Bass-Gitarre hatte er Titel der 60er Jahre gespielt im ersten Haus am Platze. Und auch Dietrich Hagemann – damals gab er am Schlagzeug den Takt an, heute ist er Bürgermeister – knüpft an den Erfurter Hof neben Faschings- und Silvester-Feiern sowie Einkäufen im Intershop musikalische Erinnerungen.
Das gilt auch für die „Erfurter Hof-Revival-Band“, sechs gestandene Musiker die einst im Hotel spielten, die auf dem Bahnhofsvorplatz mit „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ einen trefflichen Titel von Marius Müller-Westernhagen anstimmten.
Heirat, Jugendweihe, Konfirmation: Kaum ein Erfurter, der nicht Erinnerungen mit dem Erfurter Hof verknüpfe, weiß auch Dr. Urs Warweg (SPD). Er nahm die CDU auf Landes- und Stadtebene in die Pflicht, verantwortlich für den Erfurter Hof zu handeln. Kritik an die Eigentümerin, die Interhotel-Gruppe, richtete Jörg Schwäblein (CDU): Noch vor zwei Jahren habe sie das Angebot zur Unterbringung der Spielbank abgelehnt, einen Verkauf des Hauses an die LEG durch utopische Preisvorstellungen zunichte gemacht. Es sei wichtig, dass Regierung und Investoren weiter zu spüren bekämen, was der Erfurter Hof bedeute: „Er atmet Geschichte, es ist aber auch wichtig, dass er Zukunft ausstrahlt.“
„Eigentum verpflichtet“, mahnte Thomas Rathsfeld (PDS) die Interhotel-Gruppe. Für den Erfurter Hof müsse andernfalls die Rückabwicklung des Kaufvertrages auf den Weg gebracht werden.
Der Erfurter Hof braucht Schutz: Hier sei 1970 das Tor zum Osten aufgemacht worden, heute vergammele ein Stück europäische Geschichte mit dem Traditionshotel, sagte Ulla Kalbfleisch-Kottsieper vom Willy-Brandt-Verein. Sie engagiert sich vehement für die TLZ-Aktion und sammelt unermüdlich Unterschriften.
Auch die von Günther Hergt (75): Am 19. März 1970, als Willy Brandt im Erfurter Hof auf Willi Stoph traf, machte er Fotos von dem historischen Ereignis. Waren die Betriebe gehalten, niemandem frei zu geben, hatte er es dank eines Zahnarzttermins geschafft, die bewegenden Momente auf dem Bahnhofsvorplatz festzuhalten. Mit dicker Backe wegen zweier gezogener Zähne, wie er sich erinnert, nahm er mit seiner Exa 2b auf, wie Willy Brandt aus dem Fenster winkte. 20 Jahre später ließ er sich das Foto vom einstigen Bundeskanzler signieren.
Unterschriften auf TLZ-Coupons wurden während der Demo auf dem Bahnhofsvorplatz auch an der Reglerkirche gesammelt: Die PDS hatte vor der Deutschen Bank ihren Stand aufgebaut, deren Tochter die Interhotel-Gruppe ist. Diese sei lange Zeit untätig gewesen, müsse nun endlich bereit sein, mit Stadt und Land über Nutzungsvarianten zu sprechen, fordert Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz. Für ihn ist die Lösungssuche für das Hotel „zuvorderst eine städtische Aufgabe“. Titel/Landesspiegel
11.07.2003 Von Frank Karmeyer

Frank Karmeyer

Journalist

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